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Tradition und Moderne, Moderne mit Tradition

△Chris Gerbing, Kunstkritiker

 

Kunst aus Fernost haftet in westlichen Ländern noch sehr häufig der Charme des Exotischen an – trotz des globalisierten Kunstmarkts und obwohl Künstlerbiografien oft Charakteristika eines modernen Nomadentums aufweisen. John Pijnappel spricht in diesem Zusammenhang von einer „cross‐cultural biography“, die durch gesellschaftlich auferlegte Erfahrungen bedingt ist.(1)

 

Auch wenn die gebürtig aus Asien stammenden Künstler oft in Europa oder Amerika Kunsthochschulen besuchten, auch wenn sie sich gerne und selbstverständlich moderner, neuer Materialien für ihre je eigene künstlerische Sprache bedienen, verbinden westliche Betrachter viele ihrer Arbeiten mit dem Touch des Fernöstlichen.(2)

 

Denn sie kombinieren, wie beispielsweise auch Kim Hyun‐Kyung, historische Themen, Mythen und kulturelle Eigenheiten mit einer globalisierten künstlerischen Sprache, die zugleich einen neuen Weg in fremde Welten eröffnet. Umgekehrt nähern sie sich mit den Mitteln der Kunst anderen Kulturkreisen an, verbinden asiatische Motive und Techniken mit einer globalisierten Sprache der Kunst, die sie auch auf den großen internationalen Kunstmessen marktgängig macht.

 

Kim Hyun‐Kyung entlehnt ihre Themen, Motive und Malweise der Sagunja, die sich auf Chrysantheme, Bambus, Pflaumenblüte und Orchidee bezieht, denen wiederum traditionell Tugenden zugeordnet werden. Die vier Pflanzen repräsentieren die vier Jahreszeiten, gleichzeitig sind Bambus und Pflaumenblüte zusammen mit der Kiefer in der chinesischen Kultur als die, Drei Freunde des Winters‘ bekannt und werden für ihre Ausdauer unter harten klimatischen Bedingungen verehrt.

 

Dass sich eine koreanische Künstlerin auf diese Themen bezieht, macht zudem die

Interdependenz der asiatischen Kulturkreise deutlich, die historisch bedingt sind: Bis ins 19. Jahrhundert war Korea eng mit China verbunden, gleichzeitig konnte sich Korea bis heute seine kulturelle Eigenständigkeit als Brückenkopf zwischen China und Japan erhalten.

 

Die Symbolik der Pflanzen – respektive des Bambus –, die Grundlage der Kunstwerke von Kim Hyun‐Kyung sind, hat die Künstlerin aber ganz offensichtlich modernisiert bzw. als moderne Adaption der Reflexion ihres Selbst übernommen: Loyalität, Integrität und Aufrichtigkeit sind die wesentlichen Charakteristika, die auf dem Konfuzianismus basieren und die der Bambuspflanze symbolisch zugewiesen werden.(3)

 

Ihnen liegt die Geradlinigkeit der sich gen Himmel reckenden Bambusrohre zugrunde. Die ihnen innewohnende Linearität faszinierte Künstler bereits zu früheren Zeiten. Bei Kim Hyun‐Kyung wachsen geheimnisvolle Bambuswälder – gemalt mit koreanischer Tusche auf Papier, das oft sehr großformatig ist und gerne dem Aufwärtsstreben des Motivs das Querformat entgegenstellt –, in denen das Licht‐ und Schattenspiel mystische Qualitäten aufweist, bei denen der einzelne Bambusstamm zum Teil eines großen Ganzen wird, in dem er aufgeht, sich aufzulösen scheint.

 

Dabei entstehen kristalline Strukturen, der Bambuswedel kann fließend in regenartige Strukturen übergehen, den Aspekt der Lichtbrechung einfangen oder einen Tiefensog durch eine, wenngleich abstrakte, Lichtregie entwickeln.(4)

 

Der Kunstkritiker Oh Se‐gwon führt in diesem Zusammenhang aus, Kim setze den „Begriff, absolute Leere‘ als ihr schöpferisches Konzept ein und unternimmt einen Versuch der Neuinterpretation“.(5)

 

Diese, absolute Leere‘ manifestiert sich insbesondere in jenen Arbeiten, bei denen sich abstrakte und konkrete Formen überlagern, in denen der Freiraum zwischen den Bambusstämmen und ‐wedeln zum bildprägenden Moment wird, weil er eine Sogwirkung ausübt, die in eine meditative Betrachtung des Gemäldes führt.

 

Wesentliches Element des Taoismus, den Laotse in Worte gefasst hat, ist das Streben nach einem„ absoluten leeren Zustand“6, der es – hier: dem Betrachter – ermöglichen möge, sich in Kontemplation dem Kunstwerk hinzugeben, wobei Laotses Einbringen einer ästhetischen Ebene ein wichtiger Aspekt sowohl für die chinesische Ästhetik im Allgemeinen, wie auch für Kims Schaffen im Besonderen darstellt.

 

So finden sich fernöstlichen Traditionen auch in der Umsetzung des Motivs, in ihrer kontemplativen Herangehensweise – aus Meditationen entstehen Skizzen und erste Zeichnungen, die sie dann in großformatige Arbeiten überführt– und in der Wahl der Materialien, so dass Modernität und Tradition bei ihr Hand in Hand eine neue Welt erschließen.

 

Das Konzept des Freiraums und der Leere erhält dabei, ähnlich wie bei Yves Kleins Ausstellung „Le Vide“ (1958 Galerie Iris Klert, Paris; 1961 Haus Lange, Krefeld), eine ins Transzendente und Immaterielle weisende Komponente.

 

Aber während Klein ganze Galerieräume in grell‐gleißendem Weiß strich und dadurch den Betrachter damit konfrontierte, dass die Raumwinkel sich aufzulösen scheinen, dass überprüfbare Positionen und Entfernungen aufgehoben werden, dass diese strahlend weiße Leere eine intensive Seherfahrung bedingt,7 verlagert Kim die Raumerfahrung in den Bildraum des Gemäldes.

 

Damit holt sie die Idee des Konzepts zurück aufs Papier, gibt ihm wieder Fläche und Form zurück.

 

In Arbeiten wie „The Dream of Butterfly“ (2010)8 oder „Memory – Wind” (2010) können die leeren Blattflächen als Projektionsflächen des Betrachters interpretiert werden, dessen Gedanken durch den Titel bereits in bestimmte Richtungen gelenkt werden. Dabei lösen sich die Pflaumenblüten in „The Dream of Butterfly“ selbst in kristalline Strukturen auf, die einen Übergang zur Leere schaffen, die weite Teile des linken Bildraums einnimmt.

 

Kim kontrastiert diese lichte Helligkeit mit einer vorhangähnlichen Struktur im rechten Drittel des Querformats, die Drinnen und Draußen verschwimmen lässt, bei der die Zeichnung eine filigrane Zartheit erhält, die wiederum ihr Pendant in den kristallartigen Elementen der linken Bildseite finden. Ist hier die Pflaumenblüte Relikt der fernöstlichen Tradition, so ist dies bei „Memory – Wind“ passenderweise der rote Zhuwen‐Stempel, den Kim in beiden Zeichnungen als kalligrafischen Farbfleck, aber durchaus auch in seiner Funktion als Signatur und möglicherweise auch als Yang‐Zeichen einsetzt, das wiederum aus dem Taoismus kommt und das (weiße, helle) männliche Prinzip verkörpert.

 

In dem Diptychon (oder Paar) „Memory – Wind“ wird aus den Bambusstäben eine Längsschraffur, die ebenfalls an vorhangähnliche Strukturen denken lässt, die die Bambuswedel dahinter verunklären und aus dem traditionellen Naturmaterial eine modern anmutende Struktur macht.

 

Noch deutlicher wird dieses Anliegen des Verschmelzens von Tradition und Modernität in der Arbeit „Memory – Inclusion“, bei der eine annähernd quadratische Raute das fast quadratische Blatt achsensymmetrisch aufteilt. Dabei wird die Längsachse so stark betont, dass auf den ersten Blick der Eindruck entsteht, es handle sich um einen Rorschachtest, also um eine jener Klecksografien, die in der Psychodiagnostik eingesetzt werden zur Bestimmung der gesamten Persönlichkeit des Probanden.

 

Der Bambuswald wird hier zur Erinnerung seiner selbst, ist flüchtiger Moment einer natürlichen Bewegung im Wind, die in den hellen Ecken zur fast monochrom weißen, nur ansatzweise mit hellen Grautönen akzentuierten und nur leicht schraffierten Fläche werden.

 

So verschmelzen auch hier neuerlich Tradition und Moderne zu einer gänzlich eigenständigen Interpretation von Form, Fläche und Farbe, die nur noch Relikte der Naturvorlage vorhält, die assoziativ-meditativen Anstoß zur Auseinandersetzung

geben wollen. Noch deutlicher wird dieser Ansatz vielleicht in „Memory“ (2007), bei dem das gesamte Blatt in drei mal drei Rechtecke unterteilt ist, die entfernt an die Farbfeldmalerei eines Barnett Newman erinnern, bei denen Natur und Artifizielles im harmonischen Nebeneinander stehen, ebenso wie dies mit Hell und Dunkel, großer und kleiner Farbfläche der Fall ist. „Memory“ lässt sich hier natürlich trefflich als Erinnerung an frühere Zeiten, als den Schatten alter Traditionen interpretieren, die in Kunstwerken zeitgenössischer Künstler modern gewandet, neu interpretiert und ausgestaltet ein Eigenleben zu führen beginnen.

 

Jane Portal weist darauf hin, dass es auch in der Nachkriegszeit eine reiche Tradition der Tuschemalerei in Korea gibt. Auf die, Shumukhwa‘, die Orientalische Tusche-Bewegung der 1980er Jahre aufbauend, können zeitgenössische Künstler mit dieser traditionell koreanischen Technik experimentieren und wissen sich trotz eines neuen künstlerischen Ausdrucks fest auf dem Boden der Tradition.(9)

 

Ging es aber der Shumukhwa um die Rückeroberung nationaler Identität im Spannungsfeld einer traditionellen und einer an westlichen Strömungen orientierten Malerei, so können Künstler wie Kim Hyun‐Kyung davon ausgehend zu neuen Ufern aufbrechen, können sich ebenfalls in Technik, Materialwahl und Thema koreanischer Tradition verpflichtet fühlen und dennoch eigenständige, moderne Kunstwerke mit zeitgenössisch‐aktueller Aussage schaffen.

 

Dass sie gesellschaftliche Aspekte und Fragestellungen, wie das Finden von Ruhe und Kontemplation in einer immer hektischeren, globalisierten Welt thematisieren, liegt vor diesem Hintergrund fast auf der Hand. Kim Hyun‐Kyung ist diesbezüglich sicher kein Einzelfall.

 

Ihr konsequentes Arbeiten an der Schnittstelle von Tradition und Modernität, ihr Einbringen von asiatischen Themen in einen zeitgenössischen malerischen Kontext machen ihre Papierarbeiten zu spannenden Anschauungsobjekten – sowohl für Menschen aus fernöstlichem, als auch westlichem Kulturkreis.

 

■Fußnote

△1.Pijnappel, John: Moving Images in the 21st Century in Indian Video Art and Beyond, in: Moving on Asia, vol. 6, S. 428–434, hier: S. 428. △2.Antoinette, Michelle: Epilogue. ,My Future is Not a Dream.’ Shifting Worlds of Contemporary Asian Art and Exhibitions, in: Antoinette, Michelle/Turner, Caroline (Hrsg.): Contemporary Asian Art and Exhibitions. Connectivities and World‐making. Canberra/Australien 2014, S. 234 ff. Weiterführend vgl. Harris, Jonathan: The Global Contemporary Art World. Hoboken/NJ 2017, bes. S. 72.

△3.Sang‐cheol, Kim: Bambus, in dem Trdition und Moderne ineinander übergehen: ein absolut leerer Raum, in: Ausst.kat. Kim Hyun‐Kyung 2017‐2002. o.O., o.J., unpag. △4. Arbeiten aus der Serie „The Bamboos – Shining“ (2013) sind im Ausst.kat. der Mano Gallery (2013) abgebildet (Kim, Hyun Kyung. Mano Gallery Seoul/Korea 2013).

△5.Se-gwon, Oh: Welt der Leere mit Tusche – Die Bambus-Gemälde von Kim Hyun-Kyungals Schwerpunkt, in: Ausst.kat. Kim Hyun-Kyung 2017-2002. o.O., o.J., unpag. △6.Se-gwon, Oh: Welt der Leere mit Tusche – Die Bambus-Gemälde von Kim Hyun-Kyungals Schwerpunkt, in: Ausst.kat. Kim Hyun-Kyung 2017-2002. o.O., o.J., unpag.

△7. Gondorf, Ulrike: Die Leere als Kunstobjekt, Deutschlandfunk Kultur, 19.9.2009. △8. Die folgenden Kunstwerke sind dem Ausst.kat. Kim Hyun-Kyung 2017-2002. o.O., o.J.entnommen. △9.Portal, Jane: Korea. Art and Archeology. London 2000, S. 176.

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