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SCHICHT UM SCHICHT

Tuschemalerei zwischen Tradition und Moderne

Tuschemalerei zwischen Tradition und Moderne

 

In der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts schuf der chinesische Maler Zhao Mengjiun das Werk Die Drei Freunde des Winters. Das heute im National Palace Museum von Taipei befindliche Bildnis, welches auf das Jahr 1260 datiert wurde, zeigt einen Zweig mit zarten Pflaumenblüten.

 

Erhaben ruht er auf einem Kiefernast, zu dessen Seiten Bambusgras wächst. Gegenwärtig gehört die Darstellung dieser drei Symbole, die gemäß der daoistischen Weltanschauung für das Immerwährende in der Natur stehen, zur frühesten und vermutlich einzigen zeichnerischen Umsetzung, die diese drei Bildmotive miteinander verbindet.

 

Ihre zeichnerische Zusammenführung, das Überlagern der drei die Kalte des Winters durchwehrenden Pflanzen, kann im Werk Zhao Mengjin als Sinnbild der Hoffnung des Fortwirkens der Song-Dynastie gedeutet werden.

 

In der Verkörperung daoistischer Werte wie Erneuerung, Bestandigkeit und Ausdauer stehen die Pflaumenblute, die Kiefer und das Bambusgras für den Fortbestand der genannten Herrscherdynastie, welche schon wenige Jahre spater im Zuge der Eroberung Sudchinas durch die Mongolen 1279 niedergehen sollte.1)

 

 

Das Verhältnis zwischen kulturellem Erbe und Erneuerung, wie es in diesem Werk deutlich hervortritt, steht im Zentrum zeitgenössischer Tuschemalerei, wie sie in Korea, wo sie nach der Kolonialherrschaft von 1910 bis 1945 in den 1980er-Jahren ihre Blutezeit fand, bis heute in der Gegenwartskunst fortwirkt.

 

Im Zentrum des Werkes der koreanischen Künstlerin Kim Hyunkyung steht mit dem Bambus eines der symbolreichsten Motive in der asiatischen Kulturgeschichte.

 

In ihren großformatigen Arbeiten überträgt sie die biologische Struktur des Süßwassergrases, das in Asien zu den am häufigsten verbreiteten, verholzenden Pflanzenarten gehört, in ein von geometrischen Formen bestimmtes Naturbildnis. Die Halme der Bambusgewächse, die aus unterirdisch verlaufenden Rhizomen in die Höhe ragen, erscheinen in der Reduktion auf ihre einzelnen Segmente abstrakt. Die feine Untergliederung der sogenannten Knoten, welche die verdichteten, ringformig verlaufenden Stellen bezeichnen, und der zwischen ihnen verlaufenden, glatten Abschnitte, welche als Internodien beschrieben sind, werden in ihrer strengen die Malfläche durchziehenden Form durch aufgesetzte Blätter durchbrochen.

 

Rhythmus und Dynamik entstehen. Deutlich wird dies besonders innerhalb einer Serie von Arbeiten, die unter dem Titel The Bamboo Shining zwischen 2013 und 2016 entstanden sind. Als ertikal über den Malgrund erstreckende Linien leiten die Halme in ihrem teleskopartig auseinanderdriftenden Wuchs den Blick vom tiefen, dicht aufgetragenen Schwarz der koreanischen Tusche am Bildrand in den vom zarten Weiß der aufgerauten Bildflache bestimmten Mittelgrund.

 

Diese Form der Blickführung in einen kontemplativen Moment absoluter Stille wird in einer zweiteiligen Arbeit der gleichnamigen Serie in der Wahl des Bildformates, eines Trapezes noch verstärkt. Die bewusste Lenkung von der Dichte des Bambuswaldes am breiten Bildrand in die monochrome Klarheit der gegenüberliegenden, schmalen Bildflache, die das Eindringen des Sonnenlichts versinnbildlicht, wird zum entscheidenden Paradigma in der Tuschemalerei der Künstlerin.

 

Das Werk des chinesischen Künstlers Zhao Mengjiun, eine Tuschezeichnung auf Papier, ist nicht allein für seine Motivwahl beispielhaft. Im Hinblick auf die Papierarbeiten Kim Hyunkyungs führt es die grundlegenden gestalterischen Prinzipien der Tuschemalerei vor Augen.

 

Seit jeher zeichnete sich diese durch einen expressiven Pinselstrich sowie dessen mannigfache Schattierungen, variiert durch den Bewegungsrhythmus sowie die Kraft des Auftrages, aus. Die Konzentration, die in der asiatischen Tradition im Vordergrund dieser Kunstfertigkeit steht, spiegelt sich in der Reduktion auf die hierfür verwandten vier Materialien wider: Neben Tusche, die schon vor der Han-Zeit entweder aus Ruß von Kiefernholz oder dem verbranntem Ol des Wutongbaumes sowie mit aus tierischen knochen gewonnenem Leim und Aromastoffen wie beispielsweise Kampfer und Moschus hergestellt wurde, werden ein Stein, auf dem die Tusche mit Wasser angemischt wird, sowie ein breiter, spitz zulaufender Haarpinsel und saugfahiges Papier als Trägermedium verwendet.

 

Eine bildliche Darstellung dieses Fertigungsprozesses findet sich auf einer Querrolle aus der Zeit der Qing-Dynastie, die sich heute in der Sammlung des Museum Rietberg in Zürich befindet.

 

Das Gemalde auf Seide, das der chinesische Illustrator Chen Hongshou um 1649 mit dem Titel Vier Szenen aus dem Leben des Tang-Dichters Bai Juyi versah, zeigt in einem von vier Porträts den Poeten bei der Niederschrift eines seiner Gedichte. Auf der niedrigen Ablage zu seinen Füßen ist nächst einem Wasserschöpfer, Tusche sowie ein Reibestein zu erkennen. Mit dem Pinsel in seiner rechten Hand und dem Blatt vor ihm stellen sie die sogenannten "Vier Schätze des Gelehrtenstudios" 2) dar.

 

Auf ebendieser Tradition basieren die zarten, in ein dunkles Reich des Waldes überführenden Papierarbeiten Kim Hyunkyungs. Leuchtend rote Abdrücke, wie sie die Arbeiten Memory–To Wind aus dem Jahr 2009 tragen, bezeugen diese kulturelle

Verbundenheit der Künstlerin. Als grafischer Akzent nehmen die Schriftsiegel, sogenannte Zhuwen-Stempel, die jahrhundertealte Verbindung zwischen Tuschemalerei und Kaligrafie als Rückbesinnung auf eine mit der Gelehrtenkunst Asiens verbundenen Form auf.3)

 

Dabei entfernt sich Kim Hyunkyung zusehends von den klaren, strengen Formen ihrer Vorbilder In der Uberlagerung der senkrecht das Bild durchziehenden Linien vor einem im Hintergrund gezeichneten Blattwerk verschwimmen die einzelnen Pflanzensegmente und evozieren die Bewegungen, die der Wind zwischen den einzelnen Bambushalmen verursacht, hin zu einer klanglichen Empfindung.

 

Der durch den Duktus des Tuscheauftrags vorgegebene Rhythmus führt im Auflosen des klar akzentuierten Pinselstriches in Arbeiten wie The Wind–The Flying aus dem Jahr 2010 oder Memory-See aus dem darauffolgenden Jahr zu einer sanften Melodie des Bambuswaldes.

 

Die Tusche als wasserlöslicher Farbstoff, der, bevor er ganz aufgesogen wird, auf dem Papier zerfließt, lasst in dieser Form des Überlagerns von Tuscheschichten die Zeit, die den direkten Auftrag von dessen malerischem Ergebnis trennt, zum zweiten Thema im Werk der Künstlerin werden. Die Vergänglichkeit eines flüchtigen

Augenblickes, eines Gedankens der sich im Blattwerk verfängt, wird hier Schicht um Schicht bildlich umgesetzt.

 

In der Schichtung von Pinselstrichen, sowie dem Falten und stetigen Übermalen bereits bearbeiteter Flachen wie in einer ihrer jüngsten Zeichnungen mit dem Titel Into the Space steht ihr Werk einem traditionellen, klar definierten Aufrag der Tusche entgegen und wendet sich in ihrem spontanen, malerischen Gestus der Moderne zu.

 

Die Entwicklung von Kim Hyunkyung Techniken, die Verwendung von verbrannten Papiermustern, sowie gestalterische Offnung ihrer motivischen Kongentration auf weitere Symbolpflanzen wie die Pflaumenblüte in zuletzt entstandenen Zyklen lässt ihr Gesamtwerk in der Fortführung einer postliberalen Abstraktion erscheinen, wie sie von Youngna Kim in Eine kurze Geschichte der Modernen Kunst Koreas beschrieben ist.4)

 

In der Synthese von mythischer Natur und philosophischen Werten, die sie in der Reduktion und einer daraus folgenden Konzentration künstlerisch in das Bild setzt, erinnern die Arbeiten der koreanischen Künstlerin in ihrer meditativen Klarheit mit dem Blick auf die zeitgenössische Kunst Koreas an jene aus Kreide und Graphit geschaffen Landschaftskompositionen von Yun-Hee Tohs ebenso wie die Licht und Schatten in den Fokus nehmenden und vom Tau sowie Nebel der Jahreszeiten geprägten Naturfotografien von Byung-Hun Min.

 

Gleich den Arbeiten des in Seoul geborenen Installationskünstlers Kibong Rhee halten sie die Balance zwischen dem ewig Wahrenden und der Flüchtigkeit des Augenblicks–zwischen Tradition und Moderne.

 

Dr. phil. Sarah Donata Schneider, Juli 2021.

 

[Fußnoten]

1. Siehe Mackenzie, Colin u.a. (Hg): The Chinese Art Book, 2013, Phaidon, London, S. 20.

 

2. Karlsson, Kim: Pinselstrich und Poesie. Die Einheit von Kalligrafie, Malerei und Dichtung, In: Karlsson, Kim u. von Przychowski, Alexandra (Hg.): Magie der Zeichen. 3000 Jahre chinesische Schrifkunst, 2015, Ausstellungskatalog Museum Rietberg Zürich, Scheidegger & Spiess, Zürich, S. 160-165, hier S. 161.

 

3. Siehe Karlsson, Kim: Pinselstrich und Poesie. Die Einheit von Kalligrafie, Malerei und Dichtung, In: Karlsson, Kim u. von Przychowski, Alexandra (Hg): Magie der Zeichen. 3000 Jahre chinesische Schriftkunst, 2015, Ausstellungskatalog Museum Rietberg Zürich, Scheidegger & Spiess, Zürich, S. 160-165, hier S. 161.

 

4. Siehe Kim, Youngna: A Brief History of Korean Modern Art. In: Amirsadeghi, Hossein (Hg.): Korean Art. The Power of Now. 2013, Thames & Hudson, London, S. 10-17, hier S. 14ff.

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